Mit dieser fiktiven Geschichte erinnere ich an die Schattenseiten der sozialen Medien. Es kommt immer noch viel zu oft vor, dass betrügerische Banden die Sicherheitslücken der digitalen Plattformen nutzen, um Menschen in den finanziellen Ruin zu treiben. Ich möchte damit nicht die positiven Seiten der sozialen Medien schmälern, sondern aufrütteln und euch daran erinnern wachsam zu sein. Meine Botschaft an die sozialen Medien: Ihr habt schon einiges für die Sicherheit eurer User getan, aber bei weitem nicht genug. Es ist Zeit zu handeln.
Mit einem Seufzer öffnete Anna ihren Laptop und schaute nach, was sich in den sozialen Medien tat. Sie war traurig. Gestern hatte sie sich in eine Situation manövriert, aus der sie nur einen Ausweg sah. Sie musste einen Menschen verletzen, der ihr viel bedeutete. Nach einem emotional geladenen Schlagabtausch hatte sich Uwe enttäuscht von ihr abgewandt.
Anna schüttelte den Kopf und fragte sich, was alles passieren musste, damit sich ihre Gedanken nicht mehr immer und immer wieder um ihn drehten. Sie klickte in ihrem Profil durch die Freundschaftsanfragen. Es waren wie immer ein paar Fake-Profile dabei. Meist waren es gutaussehende verwitwete Männer, die sich als Soldaten, Ärzte, Ingenieure in Afghanistan oder Syrien ausgaben und heldenhaft die Welt und nebenbei noch ein paar Frauenherzen retteten. Groschenromanniveau, sofort löschen.
Bei einem dieser Profile zögerte Anna jedoch. Der Mann sah sympathisch aus und war mit zwei ihrer realen Freunde befreundet. Vielleicht war er gar nicht fake. „Ach, was soll’s.“ dachte Anna. Und wenn der Kontakt ins Leere führte, er würde sie zumindest eine Weile auf andere Gedanken bringen.
Lagos, Nigeria. In einem kleinen schäbigen Apartment am Rande eines der ärmeren Viertel der Stadt, saß Tayo im Dunkeln vor einem Computer-Bildschirm. Wie es ihm angewiesen worden war, kontrollierte er aufmerksam die Profile, die als Köder in den sozialen Medien platziert worden waren. Im Zimmer standen noch zwei weitere Computertische. Vor den Bildschirmen ein paar Jungs, die wie er, ungeduldig darauf warteten, dass endlich etwas passierte. Der Job war langweilig, aber Tayo war froh, dass er ihn hatte. Das war besser, als an der Straßenecke rumzulungern und sich vielleicht in noch größere Schwierigkeiten zu bringen. Er war in der Gunst von Big Boss aufgestiegen und er wollte ihm beweisen, dass er, Tayo, es voll draufhatte.
Wenn eine Frau den Köder schluckte, musste er mit großer Sorgfalt vorgehen, um sie nicht zu verlieren. Das war seine einzige Chance diesem miesen Leben zu entfliehen. Wenn er es schaffte sie zu binden und emotional abhängig zu machen, konnte das 100.000 Euro einbringen. Er wusste, es war nicht legal was er tat und er bekam nur ein paar Krümel vom großen Stück Kuchen ab. Aber wenn man Armut und die raue Welt da draußen gewohnt ist, ergreift man gerne den Strohhalm, der verspricht dort herauszukommen.
Gerade wollte er seine Schicht beenden und Jimmy, der schon hinter ihm wartete, seinen Platz übergeben, als ein Profil aufleuchtete. Es war der niederländische Ingenieur auf der Bohrinsel. Der wurde häufig angeklickt und schien bei den europäischen Frauen beliebt zu sein. Tatsächlich öffnete sich der Chat: „Hallo“. Sofort rief er die Liste mit den Begrüßungsfloskeln auf. Die Frau war Deutsche, er jagte den Spruch durch den Translator und postete ihn. Jimmy schaute ihm über die Schulter und sagte anerkennend: „Gute Wahl. Damit hätte ich auch angefangen.“
„Hallo schöne Frau. Ich hoffe es ist in Ordnung, dass ich dich anschreibe.“ Anna wunderte sich über diese Ansprache. Der Mann wirkte zurückhaltend und höflich, sogar ein bisschen schüchtern. Sie chattete eine Weile mit ihm über seinen Job auf einer Bohrinsel, das Wetter, die Einsamkeit. Es war angenehm mit ihm zu schreiben, die Zeit flog nur so dahin. Schließlich schlug Peter, der Ingenieur vor, zu einem anderen Messengerdienst zu wechseln. Sie verstand nicht warum und sträubte sich etwas, ließ sich Zeit, stellte sich ungeschickt an. Peter war höflich, verständig und half ihr geduldig.
Tayo rieb sich die Augen, es war schon spät und er war müde. Jimmy lehnte sich vor. „Du hast es geschafft. Sie wird sich morgen früh bestimmt bei dir melden. Leg dich hin, ich übernehme so lange.“ Tayo warf noch einen Blick auf die vorbereiteten Nachrichten. Kontollierte, ob alles in Ordnung war, legte sich dann auf die Couch im Nebenraum und schlief sofort ein.
Anna wachte um 4:30 Uhr auf. Sie griff nach ihrem Smartphone, um nach der Zeit zu sehen und hatte sofort eine Nachricht von Peter. Sie wunderte sich, schlief er denn nie? Seine ersten Nachrichten waren in einem anderen Ton als gestern Abend, vielleicht war er verschlafen. Sie hatte keine Zeit darüber nachzudenken. Sein Ton änderte sich wieder und er schickte ihr eine freundliche Nachricht, die auf ihre Fragen einging.
Tayo schimpfte: „Jimmy, du solltest mir doch bescheid sagen, wenn sie sich meldet! Was, wenn sie es gemerkt hat?“ „Hat sie aber nicht.“ Jimmy grinste. „Hast du dich etwa in diese Tante verliebt?“ neckte er. Tayo zog seine Stirn in Falten. „Was redest du für einen Blödsinn? Du weißt doch, was dieser Job für mich bedeutet.“ Ja, endlich raus aus diesem Sumpf. Tayo wandte sich dem Computer zu und machte mit seiner Arbeit weiter.
In Annas Hinterkopf begannen leise die Alarmglocken zu klingeln. Die Fotos, die Peter schickte, waren professionell gemachte Bilder, das war ihr gleich aufgefallen. Er wich ihr aus, wenn sie eine Videokonferenz vorschlug. Die Sicherheitsbestimmungen auf einer Bohrinsel seien sehr streng, war seine Erklärung. Gleichzeitig umgarnte er sie, was sie sehr genoss. Er hatte bald Geburtstag und sie wollte ihm einen Brief schicken. Inzwischen kommunizierten sie auf Englisch und sie wunderte sich darüber, wie sich sein Schreibstil änderte, fast als hätte er einen fremdländischen Akzent. Gar nicht europäisch. Auch änderte sich sein Ton. Er wurde fordernder, war gar nicht mehr charmant und zuvorkommend.
Tayo drehte sich auf der Couch um und versuchte aufzustehen. Die Bauchschmerzen zerrissen ihn förmlich. Schweißgebadet ließ er sich wieder sinken. Warum hat es ihn ausgerechnet jetzt erwischt? Gestern Abend hatte er sich kurz mit seinen Freunden getroffen und wollte den Erfolg mit ihnen feiern. Dabei hatte er sich schon unwohl gefühlt. Es mochte keine richtige Freude aufkommen. Er verabschiedete sich früh von seinen Freunden und ging zurück zum Apartment, wo er sich erschöpft auf die Couch fallen ließ.
Die Alarmglocken waren nun nicht mehr zu überhören. Peter hatte versucht sie zu überreden, ihm zum Geburtstag online ein Geschenk zu bestellen, er drängte sie förmlich dazu. Aber warum? Sie kannten sich gerade mal zwei Tage. Anna googelte Bohrinsel und Post und erstarrte, als sie mehrere Artikel fand, die vor Betrügern warnten. Was dort beschrieben war passte Eins zu Eins auf ihre Situation. Sein Ausweichen, wenn sie mehr über ihn erfahren wollte, der ständig wechselnde Schreibstil, der fremde Akzent. Der nächste Schritt wäre sicherlich eine geschickt verpackte Geldforderung gewesen. Anna schämte sich, dass sie auf diese Masche hereingefallen war. Bevor sie das Konto löschte, den Nutzer blockierte und weitere Sicherheitsvorkehrungen traf, öffnete sie noch ein letztes Mal den Chat.
Heute ging es Tayo wieder besser. Er setzte sich vor den Computer und las die letzten Chatnachrichten, die Jimmy geschrieben hatte. Er bemerkte einen skeptischen Unterton in den Nachfragen der Frau. Sie hatte etwas bemerkt. Es würde ihn ein gutes Stück Arbeit kosten, sie wieder einzufangen, aber das traute er sich zu. Er nahm einen Schluck von dem heißen Tee, den er gekocht hatte und suchte in der Liste nach der Rubrik mit den Entschuldigungen.
Ihre erste Nachricht am Morgen war kurz angebunden und harsch: „Du bist ein Scammer!“ Tayo erschrak, versuchte sie halbherzig zu besänftigen, aber ihm war sofort klar, er hatte sie verloren.
Liebe May, eine beeindruckende, wahrheitsgetreue Geschichte.Wie einsam müssen Menschen sein, die glauben auf diesem Wege Liebe zu finden. Liebe Grüße Heidi 🙂
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