Weltweit setzen sich immer mehr Frauen mit Parkinson für eine differenzierte Betrachtung der Krankheit und Versorgung von Patient:innen ein. Warum gerade jetzt?
Auf der einen Seite hinterfragt der noch recht junge Fachbereich Gendermedizin alte Strukturen und Prozesse. Der moderne Feminismus erlaubt einen ganzheitlichen und vor allem gleichberechtigten Blick auf die Dinge und Morbus Parkinson betrifft immer mehr junge Menschen, die auf einmal vor ganz anderen Herausforderungen stehen.
Durch Corona ist die Parkinson-Welt ein ganzes Stück zusammengerückt. Wir erfahren schnell, dass es in Uganda nur einen Parkinsonspezialisten für das ganze Land gibt und dass in Asien Menschen mit Parkinson viel stärker stigmatisiert werden als hierzulande.
Es lohnt sich also, einen Blick in andere Länder zu werfen und aus den Erfahrungen zu lernen. Auch aus diesem Artikel von Richelle Flanagan, können wir sehr viel lernen: Über starke Frauen, über die Welt, aber auch über uns selbst. Der Artikel wurde übersetzt von der wunderbaren Nina Juncker.
Wir müssen Frauen mit Parkinson weltweit Gehör verschaffen
„Lieber zehnmal in der Brandung sterben und den Weg zu einer neuen Welt ankündigen, als untätig am Ufer stehen.“
– Florence Nightingale
In unserer jüngsten Veröffentlichung betonen wir, wie wichtig es ist, politisch Einfluss zu nehmen und das Bewusstsein für die besonderen Behandlungs-, Management- und Forschungsbedürfnisse von Frauen mit Parkinson zu schärfen. Wir brauchen Sie, um sich für die Sache einzusetzen und dafür zu sorgen, dass sich die Gesundheitsversorgung für Frauen mit Parkinson weltweit verändert.
1. Das allgemeine Bewusstsein dafür stärken, die Diagnosefindung von Parkinson bei Frauen und anderen unterrepräsentierten Gruppen (ethnische Gruppen, LGBTQ) zu verbessern.
Wir müssen das stereotype Bild ändern, dass Parkinson nur ältere weiße Männer betrifft. Diese Wahrnehmung wurde durch eine Umfrage über das Allgemeinwissen belegt, in der Männer höheren Alters als die Gruppe genannt wurde, die am häufigsten an Parkinson leidet.
Tatsache ist, dass in der westlichen Welt 40 % der Parkinson-Patienten Frauen sind. Einige Studien zeigen, dass in einigen asiatischen Ländern die Prävalenz bei Frauen tatsächlich höher ist.
Über die Erfahrungen sexueller und geschlechtlicher Minderheiten, wie z. B. bei Frauen und Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen und Queers (LGBTQ) mit Bezug auf Intersektionalität, ist sehr wenig bekannt. Die Prävalenz ist nach wie vor unbekannt und kann in diesen Gemeinschaften aufgrund unterschiedlicher potenzieller Risikofaktoren wie Rauchen und Einnahme geschlechtsangleichender Hormone unterschiedlich sein.
Frauen und Minderheiten werden seltener von Neurologen behandelt als Männer, daher ist es wichtig, dass wir das vorherrschende Bild ändern.
Wir müssen dafür sorgen, dass alle Akteure im Bereich Parkinson – Kliniken, Pflegedienste, Fachkräfte, Forschende, Selbsthilfevereine, internationale neurologische Institutionen -, der Realität ins Auge sehen.
2. Aufklärung des Gesundheitspersonals über die Bedeutung der Überweisung von Frauen an Spezialisten für Bewegungsstörungen.
Bei Frauen verzögert sich sowohl die genaue Diagnose von Parkinson als auch die Überweisung an einen Neurologen oder Spezialisten für Bewegungsstörungen. Dabei ist nicht nur die unterschiedliche Symptomatik verantwortlich für die Verzögerungen einer Diagnose. Einige Gründe liegen bei den Frauen selbst, wie z. B. die geringere Tendenz, bei ärztlichen Untersuchungen störende Symptome offen und deutlich anzusprechen. Die Annahme der Ärzte, Morbus Parkinson käme häufiger bei Männern vor, kann ebenfalls zu Verzögerungen führen. Diese Ungleichheiten werden bei benachteiligten Bevölkerungsgruppen in den Ländern verstärkt, in denen traditionell unterversorgte Minderheiten mit größerer Wahrscheinlichkeit zeitlich verzögert oder gar nicht diagnostiziert werden.
Wir müssen alle Ärzte des Gesundheitswesens im Rahmen ihrer Aus- und Weiterbildung über die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei Morbus Parkinson aufklären und ihnen zeigen, wie wichtig es ist, die Andersartigkeit von Morbus Parkinson bei Frauen zu kennen, damit sie eher früher als später eine Diagnose erhalten und an einen Neurologen oder idealerweise an einen Spezialisten für Bewegungsstörungen überwiesen werden.
3. Aufklärung der Leistungserbringer über die Erstellung einer Frühdiagnose, die individuelle Beurteilung belastender Symptome und die Berücksichtigung der Bedürfnisse von Frauen bei Parkinson
Wir weisen auf die vielen Unterschiede bei motorischen und nicht-motorischen Symptomen zwischen Frauen und Männern hin. Eine prospektive Studie hat gezeigt, dass bei Frauen im Vergleich zu Männern die Wahrscheinlichkeit größer ist, innerhalb von vier Jahren nach der Diagnose nichtmotorische Fluktuationen zu entwickeln. Frauen haben auch ein höheres Risiko, Dyskinesien zu entwickeln als Männer, was wahrscheinlich auf den unterschiedlichen Levodopa-Stoffwechsel und das geringere Körpergewicht zurückzuführen ist. Bei Frauen treten häufiger Stimmungsstörungen wie Angstzustände und Depressionen, Schlafstörungen, Müdigkeit und Apathie auf. Auch das Restless legs Syndrom, Schmerzen und starre Mimik sind bei Frauen häufiger und stärker ausgeprägt.
Alle Mediziner:innen müssen die Person mit Parkinson geschlechtsspezifisch betrachten, um die Behandlung auf ihre besonderen Bedürfnisse zuzuschneiden.
4. Ein besseres Verständnis für die verschiedenen hormonellen Phasen im Leben von Frauen
Bei der Versorgung von Frauen mit Parkinson müssen die besonderen hormonellen Lebensphasen und deren Auswirkungen auf die Krankheit berücksichtigt werden. Frauen berichten häufig über eine Verschlechterung der motorischen Symptome in der prämenstruellen Phase. Eine Umfrage bei 200 an Parkinson erkrankten Frauen bestätigte dieses Phänomen (https://www.pdavengers.com/blog/women-and-pd). Der Rückgang des prämenstruellen Östrogens ist wahrscheinlich für diesen Effekt verantwortlich, wobei es widersprüchliche Berichte über den Nutzen einer zusätzlichen Einnahme von Levodopa in der Woche vor der Menstruation gibt. Frauen mit Morbus Parkinson berichten auch über eine Verschlechterung der Symptome vor der Menopause, was ebenfalls auf einen Östrogenabfall zurückführen könnte. Es stellt sich die Frage, ob eine Hormonersatztherapie bei der Behandlung von Schwankungen der Parkinson-Symptome in der Perimenopause und Postmenopause von Nutzen wäre. Diese Bereiche sind weitgehend unerforscht und sollten besser untersucht werden.
Wir brauchen expertenbasierte Behandlungsempfehlungen und weitere Forschung zu den Auswirkungen von Hormonen auf die Parkinson-Krankheit von Frauen in den verschiedenen Lebensphasen.
5. Die globalen Sicht auf die „Belange der Frauen“ weltweit verbessern
Angesichts der Millionen von Frauen, die weltweit von Morbus Parkinson betroffen sind, und der bekannten Unterschiede in Erscheinungsform und Auswirkung dieser Krankheit bei den Geschlechtern, wurde bemerkenswert wenig getan, um diese Unterschiede zu verstehen oder die Behandlung auf die besonderen Bedürfnisse von Frauen abzustimmen. Ebenso wenig ist über die geografischen Unterschiede in Bezug auf das Auftreten, die Symptome und die Behandlung von Frauen mit Parkinson weltweit bekannt. Frauen brauchen eine an ihre Kultur und ihre Bedürfnisse angepasste Anleitung für Erholungs- und Selbstpflegestrategien.
Wir brauchen Morbus-Parkinson-Vereine in den Ländern des globalen Nordens, um die Stimme von Frauen mit Morbus Parkinson in Ländern zu erheben, die möglicherweise nicht über das gleiche Versorgungsnetzwerk oder die gleichen Mittel verfügen. Wir brauchen Unterstützung durch die Übersetzung von Aufklärungsmaterialien für medizinische Fachkräfte und Frauen mit Morbus Parkinson auf der ganzen Welt.
6. Mehr Frauen mit Morbus Parkinson miteinander in Kontakt bringen
Zu guter Letzt müssen wir Frauen mit Morbus Parkinson mehr Gehör verschaffen, indem wir Verbindungen und Netzwerke fördern, durch die Frauen das Selbstvertrauen gewinnen können, ihre Bedürfnisse zu äußern. Frauen mit Morbus Parkinson müssen geschult und befähigt werden, ihre Symptome und Bedürfnisse zu kommunizieren, sich in der Forschung zu engagieren, sich als Gemeinschaft zu organisieren und sich gegenseitig zu unterstützen. Die Stimmen von Frauen, die mit Morbus Parkinson leben, müssen gestärkt werden, um nachhaltige Veränderungen in diesen vernachlässigten Bereich herbeizuführen und die wahre Heterogenität dieser fortschreitenden Krankheit zu repräsentieren.
Es gibt bereits viele Selbsthilfegruppen für Frauen auf der ganzen Welt, wie das Women’s Parkinson’s Project, Con-P, Twitchy Woman und andere. Dieser Bericht hat sie dazu veranlasst, anlässlich des bevorstehenden Internationalen Frauentags am 8. März und des Welt-Parkinson-Tags am 11. April und darüber hinaus eine weltweite Allianz von Parkinson-Frauengruppen zu gründen. Wenn Sie bereits eine Selbsthilfegruppe haben, eine solche suchen oder in Ihrem Land eine Gruppe gründen möchten, wenden Sie sich bitte an eine der folgenden Gruppen:
https://www.schlussmitparkinson.info (Deutschland)
https://www.womensparkinsonsproject.com/contact-us (USA)
https://twitchywoman.com/ (USA)
https://pdeparkinson.com/cuentanos/ (Spanien)
„Ich habe vor langer Zeit gelernt, dass das Klügste, was ich tun kann, ist, auf meiner eigenen Seite zu stehen, ein Fürsprecher für mich und andere wie mich zu sein“ – Maya Angelou